Wissenschaft im Exil
Sobald Forschende der in ihren Ländern lauernden Gefahr entkommen sind, müssen sie die Barrieren des Wissenschaftsbetriebs im Aufnahmeland überwinden. Schon der
zeitliche Verlauf einer akademischen Laufbahn unterscheidet sich wesentlich von anderen hochqualifizierten Berufen. Die Karriere beginnt mit dem Doktortitel, d.h. nach acht bis zwölf Jahren Studium. Höhere Stellen sind erst im Anschluss an einen weiteren Abschluss, weitere Auswahlverfahren oder mehrjährige Lehrerfahrung möglich. Diplome und erworbene Qualifikationen aus dem einem Land werden nicht automatisch in einem anderen anerkannt. Der Lebenslauf ist durch das Herunterfahren oder vorübergehende Aussetzen von Publikationen und Lehrtätigkeit schnell veraltet. Wissenschaftler*innen Zuflucht zu bieten heißt daher auch, dass sie
die Möglichkeit haben, ihre wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen.
Manche finden zwar innerhalb von zwei Jahren eine Anstellung, wie der venezolanische Materialphysiker, der an einer Ingenieurschule arbeitet, aber viele müssen wieder ganz von vorne anfangen oder wechseln häufig ihr Forschungsgebiet oder ihren Exilort, wie der Chemiker von den Komoren, der von der Synthese von Pyrrolen zur Destillation von Ylang-Ylang-Blüten und dann zur Erforschung von Molekülen zur Krebsbekämpfung übergegangen ist. Ihre Forschung eröffnet neue Perspektiven, wie zum Beispiel die mündlichen Erzählungen des jungen afghanischen Spezialisten für Reise- und Exilliteratur. Sie alle sind bestrebt, ihr Wissen hier oder in ihren Heimatländern weiterzugeben, wenn sie eines Tages zurückkehren, wie der junge Touareg-Ingenieur.